Datenanalyse nach dem Aufstieg - HSV nur teilweise bundesligareif
Der HSV hat sich die Bundesliga-Rückkehr nach sieben Jahren in dieser Saison redlich verdient. Laut Datenanalyse gibt es jedoch einige Baustellen: beim Personal und bei der Taktik. Ein Vorbild könnte ausgerechnet Stadtrivale FC St. Pauli sein.
Nach sieben langen Jahren ist der HSV endlich wieder erstklassig. Doch damit fängt die Arbeit erst an. Laut den Daten von Global Soccer Network (GSN) haben die offensivstarken Hamburger den Aufstieg zwar verdient. In Summe sei der Club defensiv aber "nicht bundesligatauglich".
GSN identifiziert in seiner Analyse mindestens sechs Baustellen im Kader, die Sportvorstand Stefan Kuntz besser schließen sollte, damit der HSV nicht gleich wieder den bitteren Gang zurück in die Zweite Liga antreten muss.
HSV droht in dieser Saison noch Negativrekord
Kuntz weiß um die Größe der Herausforderung, hat mit Sportdirektor Claus Costa bereits einen "Schattenkader" erstellt und Lieblingsspieler identifiziert. Kuntz bezifferte die Bundesligatauglichkeit zuletzt nur auf 50 Prozent! Understatement? Oder bittere Realität?
Fakt ist: Die Hamburger könnten der schlechteste Zweitliga-Meister seit Einführung der Drei-Punkte-Regel vor 30 Jahren werden. Nur mit einem Sieg könnte der HSV (59 Punkte) noch am 1. FC Nürnberg vorbeiziehen, dem bisherigen Halter des Negativrekords (61 Zähler in der Saison 2003/04).
Position | Gesuchtes Profil |
---|---|
Innenverteidigung | Schneller Spieler mit guter Antizipation - statt Reaktion. Wichtig: sauberer Aufbau auch unter Druck |
Außenverteidigung (links und/oder rechts) | Schnelle und belastbare Spieler, die gegnerische Dribbler verteidigen, aber auch selbst durch Flanken offensiv Akzente setzen können |
Defensives Mittelfeld (Sechser) | Ein Allrounder mit Zweikampfhärte, Raumkontrolle und Pressingresistenz |
Zentrales Mittelfeld (Achter - "box to box") | Defensiv intelligenter Spieler, der aber auch schnell umschaltet und mit Nachdruck ins letzte Drittel vorstößt |
Flügelspieler (rechte Seite) | Explosiver Außenspieler mit Tempo und Spielintelligenz, der vorbereiten und vollstrecken kann |
Mittelstürmer (ergänzender Spielertyp zur bestehenden Physis) | Ein beweglicherer, technisch versierterer Angreifer als Ergänzung zu Selke und Glatzel |
Beeindruckende Sturmreihe - mit einer Lücke
Dabei kann sich die Torausbeute (76:41 Treffer) des Teams von Trainer Merlin Polzin wirklich sehen lassen. Plus 35 Tore bedeuten in dieser 30-Jahre-Statistik immerhin den geteilten neunten Platz.
Insgesamt zehn Siege mit drei oder mehr Treffern Differenz haben die Hamburger herausgeschossen. GSN bescheinigt dem Hamburger Offensivspiel "klare Bundesligatauglichkeit mit überdurchschnittlichem Potenzial".
Der HSV ist Ligaspitze - bei den geschossenen Toren, den erfolgreichen Dribblings, bei den progressiven Läufen, bei Toren nach Standards, den Schüssen im Strafraum - und und und. Die Liste ließe sich lange fortführen.
"Die Kombination aus kollektiver Struktur, individueller Klasse, hoher Durchschlagskraft und standardstarker Ausführung macht das Offensivspiel des HSV klar bundesligatauglich und auf diesem Niveau bereits überdurchschnittlich." Aus der Datenanalyse von GSN
Die Offensive mit 22 Toren von Davie Selke, dazu Ransford Königsdörffer (14), Robert Glatzel (9) und Jean-Luc Dompé (8) ist beeindruckend. Eine Baustelle ist allerdings die rechte Angriffsseite. Hier fehlte der lange verletzte Bakery Jatta (erst Bänderriss im Sprunggelenk, dann Riss der Syndesmose). Ob Emir Sahiti, Adam Karabec oder andere - im Vergleich zum Rest der HSV-Offensive war das Niveau auf dieser Position deutlich schlechter.
Hier fehlt es an Tiefe im Spiel, Stärken im Eins-gegen-eins und konstanter Abschlussgefahr. Eine weitere Ergänzung wäre laut GSN ebenfalls nicht schlecht: ein Mittelstürmer, der andere Qualitäten als die Platzhirsche und Zielspieler Davie Selke und Robert Glatzel einbringen.
Defensivarbeit lässt in Teilen zu wünschen übrig
Doch es gibt Gründe, warum der HSV trotz seiner überragenden Offensive nicht noch besser abgeschnitten hat. 17-mal reichte es eben nicht für einen Sieg. Das Defensivverhalten der Mannschaft lässt in vielen Bereichen zu wünschen übrig.
"Kritisch ist das Defensivverhalten zu bewerten. Trotz ordentlicher Gegentorwerte und guter Standardverteidigung zeigt sich in der Ballrückeroberung, im Pressing und in der Defensivstruktur kein bundesligareifes Niveau." Aus der Datenanalyse von GSN
Bei den Ballgewinnen pro Spiel insgesamt belegt der HSV in dieser Saison ligaweit genauso den letzten Platz wie bei den Ballgewinnen in der eigenen Hälfte und bei erfolgreichen Gegenpressing-Aktionen (5 und 10 Sekunden nach dem Ballverlust). Auch bei den Ballrückeroberungen in der gegnerischen Hälfte glänzt das Team nicht unbedingt.
Es ist zu bedenken, dass das Spiel der Norddeutschen mit im Schnitt 54,85 Prozent Ballbesitz auf Dominanz ausgelegt ist. Wer selten den Ball verliert, muss wenig verteidigen. Allerdings zeigen die Zahlen, dass die Hanseaten in Phasen ohne Ball kaum Zugriff erzeugen.
Und wer berücksichtigt, dass Pressing und Gegenpressing zu so etwas wie den Grundtugenden des deutschen Bundesliga-Fußballs geworden sind, erkennt, dass sich der HSV an dieser Stelle verändern und sein Spiel unbedingt anpassen muss. Taktisch, laut GSN aber auch mit "individueller Verstärkung im Sommer".
Neues Personal für Abwehr und Mittelfeld
Die Analyse der Daten zum kickenden Personal offenbart hinter der Offensivreihe gleich mehrere große Transferziele: neben einem spielstarken Verteidiger, der nicht nur reagiert, sondern gefährliche Situationen durch Antizipation schon frühzeitig entschärft, bestenfalls gleich zwei Außenverteidiger; defensivstark auf der linken Seite und/oder offensivfreudig auf der rechten Seite.
Gerade in Sachen Pressing wird aber besonders das Mittelfeld des HSV künftig noch mehr in den Fokus rücken. Baustellen ergeben sich nach Datenlage auf der "Sechs" vor der Abwehr - es fehlt aber auch ein Spieler auf der "Acht", der über 90 Minuten auf dem gehobenen Niveau von Strafraum zu Strafraum ackern und gleichzeitig Torgefahr ausstrahlen kann.
HSV mit aktuellem Kader direkt im Bundesliga-Abstiegskampf?
Der Abstiegskampf in dieser Saison könnte den Hamburgern als Blaupause dienen. Mit dem aktuellen GSN-Index von 63,47 ist der HSV mit dem FC St. Pauli auf Augenhöhe (63,33). Der Stadtrivale hat den Klassenerhalt vor dem letzten Spieltag praktisch sicher.
Die Kiezkicker haben eindrucksvoll gezeigt, was mit defensiver Stabilität möglich ist. 39 Gegentreffer werden nur von Meister Bayern München unterboten. Laut GSN muss der HSV lernen, "organisiert und zielgerichtet zu verteidigen" und braucht im Zentrum "Zweikampfhärte, Laufbereitschaft und taktische Disziplin".
"Diese Liga ist bockschwer. Der HSV wird sich wie wir richtig warm anziehen müssen." St.-Pauli-Präsident Oke Göttlich
Expected Goals: Die Saison hätte auch ganz anders laufen können
Angesichts von 1,58 "Expected Goals Against" wird deutlich, dass der HSV neben einem guten Torhüter Daniel Heuer Fernandes auch eine große Portion Glück hatte. Real waren es bisher 1,24 Gegentore pro Spiel. Mit anderen Worten: Nach der Qualität der Chancen, die der HSV zugelassen hat, wären insgesamt satte elf Gegentreffer mehr zu erwarten gewesen.
Gleichzeitig gab es bei den geschossenen Toren eine klare Überperformance: 2,30 Toren pro Spiel stehen nur 1,92 "Expected Goals" gegenüber. Was wiederum gut zwölf Treffer "zu viel" waren. Es wird sehr deutlich: Die Saison hätte bei den gezeigten Leistungen (und stärkeren Gegnern) auch ganz anders ausgehen können.
Fazit: Defensiv verbessern und offensiv variabler werden
Sich auf die starke eigene Offensive zu verlassen und sich der neuen Liga nicht großartig anzupassen, ist bei Holstein Kiel nach hinten losgegangen. Die "Störche" haben zwar 21 Tore mehr geschossen als St. Pauli, aber auch 38 Treffer mehr kassiert.
"Der HSV muss in der Bundesliga auf eine konsequent organisierte Defensivstruktur setzen", heißt es in der GSN-Analyse. Gleichzeitig soll der HSV "kontrollierten Aufbau mit Durchschlagskraft verbinden", indem "die offensive Tiefe und Kreativität gezielt weiterentwickelt werden".
Kurz gesagt: Nach dem Kraftakt Aufstieg fängt die Arbeit wirklich erst an. Für Sportvorstand Kuntz und Sportdirektor Costa hinter den Kulissen. Aber auch für Trainer Polzin und sein Team auf dem Platz.
Bundesligatauglich | Spieler für die Kaderbreite | Spieler sollte abgegeben werden |
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Daniel Heuer Fernandes (TW) | William Mikelbrencis (ABW) | Tom Mickel (TW) |
Matheo Raab (TW) | Sebastian Schonlau (ABW) | Hannes Hermann (TW/Leihkandidat) |
Dennis Hadzikadunic (ABW/nur geliehen) | Silvan Hefti (ABW) | Aboubaka Soumahoro (ABW/Leihkandidat) |
Miro Muheim (ABW) | Noah Katterbach (ABW) | Valon Zumberi (ABW) |
Daniel Elfadli (MIT) | Nicolas Oliveira (ABW) | Joel Agyekum (ABW/Leihkandidat) |
Immanuel Pherai (MIT) | Lukasz Poreba (MIT) | Bilal Yalcinkaya (MIT) |
Ludovit Reis (MIT) | Ransford Königsdörffer (ST) | Adedire Mebude (ST/nur geliehen) |
Adam Karabec (MIT/nur geliehen) | Emir Sahiti (ST) | Bakery Jatta (ST) |
Marco Richter (MIT/nur geliehen) | Fabio Baldé (ST) | Levin Öztunali (ST) |
Jonas Meffert (MIT) | Alexander Rössing-Lelesiit (ST/Leihkandidat) | |
Jean-Luc Dompé (ST) | Otto Stange (ST/Leihkandidat) | |
Robert Glatzel (ST) | ||
Davie Selke (ST) |
